Marian Piwkowski * 21.04.1926

Aus dem Schulheft von Marian, aufgeschrieben ab dem 17.09.1939, übergeben von Irene Neumann geb. Piwkowska *1932

Vorspann

Aus der Zeitung Glogowska Magazyn vom 03.02.1991 Nr. 79

 

Der bekannte russische Historiker Roj Miedwiediew berichtete in der Zeitschrift „Literaturneje Gazieta“, dass dem Stalinismus ca. 40 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Niemand hat genaue Zahlen oder etwa eine Statistik über die Leute, die durch Hunger, Flucht oder Mord gestorben sind. Man spricht heute im Jahre 1991 noch nicht gerne darüber, alles wird unter der Decke der Verschwiegenheit gehalten.

 

In den nördlichen Wäldern von Sibirien in der Nähe der Gefängnisse und Arbeitslagern wuchsen im Laufe der Zeit die Erdhügel. Sie traten ins menschliche Gedächnis ein, in dem sie sich in die Landschaft vertieften, das heißt, es wurden immer mehr Gräber. Auch heutzutage finden die Bauarbeiter, die neue Straßen anlegen, die menschlichen Knochen in Mengen. Manchmal finden sie Knöpfe oder aber Medaillons mit dem Gesicht der Mutter Gottes.

Wer waren diese gestorbenen ermordeten Menschen, wo kamen sie her?

Man kann auf vier Arten der polnischen Bürger hinweisen, die diese Repressalien aus eigener Erfahrung erlebt haben.

 

Kriegsgefangene, die durch die Rote Armee verhaftet wurden, nach dem die Russen am 17. September 1938 in Polen einmarschiert sind.

Das polnische Volk, dass massenweise in die Sowjetunion aus den östlichen Gebieten ausgesiedelt wurden. Diese östlichen Gebiete wurden von der Roten Armee in Übereinstimmung mit Deutschland (Stalin-Hitlerpakt) im Jahre 1939 besetzt. Der Krieg Deutschland gegen Polen begann am 01. September 1939 durch das Schulschiff „Schleswig-Holstein“ mit Beschuss auf die Westernplatte bei Danzig.

Das Polnische Volk, dass aus seinen angestammten Wohngebieten vertrieben wurde und zwar in der Zeit von Anfang bis Ende 1944/45. Diese Menschen jenseits des Bugs wurden zwangsweise in die Gebiete gebracht, wo vorher die Deutschen  auch unter brutalsten Gegebenheiten verjagt wurden.

Die polnische Intelligens, die aus Polen in die Läger und Gefängnisse gesteckt wurden. Auch Katyn darf nicht vergessen werden. Wieviele Polen waren es?, zwei Millionen? Wieviele sind dort grausam gestorben? Wieviele sind zurückgekehrt? Wieviele waren Zwangsarbeiter?, dieses sollte man nie vergessen.

Irene Neumann schreibt:

Vor mir liegt jetzt das Schulheft von Marian Piwkowski: Sein Vater war Wojciech Piwkowski. Er war Legionist und Teilnehmer am Wunder von Wisla. Marian hat seine tragischen Jahre beschrieben, aufgeschrieben. Er wurde in Luck am 21.04.1926 geboren. Im Jahre 1939 war er Schüler in der ersten Klasse des Gymnasium in Zdolbunow Wolyn und Teilnehmer des Z.H.P. Heute ist er 65 Jahre alt und wohnt in Zielonej Gorze (Hirschberg) und ist ein Pensionar.

 

Ich mache das Schulheft auf und lese:

 

Der 17. September 1939.

 

Die Stadt (Zdolbunowo) ist besetzt von der sowjetischen Armee. Es herrscht Gesetzlosigkeit. Die ukrainischen Banden attackieren die polnischen Siedler. Ein Teil der Polen haben sich in den Kirchen versteckt.

Mein Vater (Wojciech) arbeitete in dieser Zeit bei der staatlichen Polizei. Wir wohnen auf der Zielauerstraße 5.

Am 20. September 1939 haben die örtlichen Ukrainer meinen Vater verhaftet. Er kehrte nach einer Woche ohne Schuhe und Uniform und ohne Arbeit zurück. Er nahm eine Stelle in einer Bäckerei an, damit wir etwas zu essen hatten.

 

Der 9. April 1940:

 

Ein ukrainischer Polizist, sein Name ist Pozykiewicz ist in der Nacht mit seinen Leuten gekommen und hat meinen Vater wieder verhaftet. Er sagte, dass er in die Stadt Rowne (12 Kilometer von Zdolbunow entfernt) geführt wird. Er soll das Essen und warme Kleidung mitnehmen. Die Mutter hat sehr geweint. Mein Vater hat mich um die Führsorge für meine Mutter gebeten, dann hat er mich an sich gedrückt.

Das waren unsere letzten Momente. Ich habe meinen Vater nicht mehr gesehen. Damals war ich 13 Jahre.

 

Der 13. April 1940:

 

Gegen vier Uhr morgens haben die Mitarbeiter NKWD von Pozykiewicz unsere Wohnungstür eingetreten.

Er gab uns 2 Stunden Zeit, um unsere persönlichen Sachen einzupacken.

Die örtlichen Ukrainer suchten derweil unsere Wohnung nach Waffen durch, aber wir hatten leider keine, sie haben nichts gefunden. Dann haben sie uns mit dem Schlitten zum Bahnhof gebracht. Ich habe sehr laut geweint, ich war fast ohnmächtig. Wir waren 13 Tage im Waggon unterwegs. Die Alten, Jungen, Kinder, Frauen, Säuglinge, alle waren sehr hungrig und stanken. Von Zeit zu Zeit gab man uns etwas Wasser und Brot. Nach 4 Tagen Zugfahrt sind 2 Säuglinge ums Leben gekommen, sie wurden aus dem Zug rausgeworfen. Für meine Mutter, Maria Piwkowska  und mich war das etwas Grauenhaftes, Schreckliches. Angekommen sind wir am Bahnhof Mamlutka im Nordkasachstan. Wir wurden dann auf einen LKW geladen, und nach 3 Stunden Fahrt nach  Smirnowka auf der Kollchose „Staliniec“ rausgeworfen, abgeladen.

 

Der 22. Juni 1941:

 

Das erste Jahr hat man die Polen nicht zur Arbeit genommen. Wir wurden als Feinde des russischen Volkes betrachtet. Wir wurden wie Knechte hier gehalten, ohne Kleidung und Schuhe. Meine Mutter hat mir gesagt, dass wir in die Treckerbrigade genommen werden, den gesamten Tag arbeiteten wir nur für die  Suppe, unsere Belohnung war Getreide.

 

 

 

Der 1. September bis 5. Mai 1942:

 

Es war damals sehr kalt, es schneite sehr viel in dieser Zeit, der Frost war bis zu 40°. Es gab dort sehr viel hungrige Wölfe. Wir wohnten in einer Erdhütte wie andere Familien auch. Wir aßen „Tapsza“, das waren Zwieback im Wasser mit Öl gebacken. Täglich bekamen wir nur 500 g Brot. Ab und zu durften wir die Badeanstalt benutzen. Wäre ich nicht so hungrig gewesen, gefiel mir diese Badeanstalt.

 

Der 15. April 1943:

 

In der Kolchose ist die ukrainische NKWD angekommen. Sie wollten uns die russische Staatsangehörigkeit aufzwingen, aber wir wollten es nicht. Sibirien gefiel uns nicht. Nach ein paar Tagen wurden wir wieder verhaftet und zum Bahnhof abgeholt. Wir wurden in Mamlulka verurteilt, laut des § Paragraphen 16-29a-17 und des zweiten Teils des Strafgesetzbuches sind wir zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt.

Ich war damals 17 Jahre alt und meine Mutter 41. Im Gefängnis von Pietropawlowsk war ich  mit Dieben und Banditen zusammen eingefercht. Täglich bekam ich 250 g Brot und 75o g Rübensuppe. Nach einem Monat wurde ich mit dem Waggon nach Karaganda überführt. Ich arbeitete 10 Stunden pro Tag und nachts kämpfte ich mit Läusen und Wanzen.

Ich war ständig hungrig, sehr oft weinte ich und sehnte mich nach meinen Eltern.

 

Heiligabend 1943:

 

Ich war sehr hungrig. Neben dem Mülleimer bemerkte ich gekochte Knochen, ich war glücklich. Die Knochen zu essen ist mir nicht gelungen, weil mich ein Wachmann gesehen hat. Sie haben mir die Schuhe weggenommen. Ich mußte schreien, sonst wäre ich erfroren. Zur Arbeit zurückgekehrt hatte ich keine Kraft mehr, und ich mußte ins Krankenhaus. Der Arzt stellte fest, dass ich unter Nachtblindheit und Herzstörungen leide. Eine leichtere Arbeit auf dem Feld bekam ich zugewiesen.

 

Beginn des polnischen Patriotischen Verbandes.

Es entsteht die erste Division unter dem Namen Tadeusz Kosciuszki. Am 23. April 1945 kam ich zurück aufs Land Smirnowska. Am Bahnhof Mamlutka habe ich meine Mutter wieder gesehen.

Sie war am Leben. Am 6.July 1945 bekamen wir die Genehmigung nach Polen zu fahren, o Gott, wie freuten wir uns. Am 20. Mai 1946 sind wir in Posen angekommen und von dort nach Torzym war es nicht mehr weit. Dort wohnte die Schwester meiner Mutter. Wir haben erfahren, dass mein Vater Wojciech Piwkowski durch die NKWD in Katyn 1940 erschossen wurde; nie habe ich daran geglaubt. Erst in der Opferliste von Katyn, Ostaszkow und Starobiels fand ich seinen Namen auf der Seite 336. Meine Mutter, Maria Piwkowska, geborene Golowczuk, die Tochter von Maciej Golowczuk und Anastansia ? Lubuski ist im Jahre 1980 in Swiebodzin/Woj. gestorben. Sie hat nie wieder geheiratet. Sie wartete auf meinen Vater. Sie glaubte nicht an seinen Tod.

 

 

Diese Informationen hat das Familien-Archiv der Piwkowski im April von Irene Neumann geb. Piwkowska * 1932, Kostrzyn, bekommen.

Sie wurden ins Familien-Archiv gebracht von Gerd. P. v. Piwkowski im Jahre 2003.

 

 

Langenfeld, den 07.02.2004

 

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